Das Ganze im Blick
Zu den Arbeiten von Diana Mercedes Alonso
 


Ein riskantes Vorgehen, sich Dingen und Phänomenen – insbesondere, wenn es sich dabei um Kunst handelt – über Vorstellungen oder Gedankenverbindungen anzunähern.


Aus mehreren Gründen:


––– weil Assoziationen sprachlich und bildlich, dem immer schon Bekannten, Gewohnten verhaftet sind – Hilfskonstruktionen, die Orientierung geben, der Irritation entgegenwirken, um nicht den ästhetischen Boden unter den Füßen zu verlieren. Das vollkommen Fremde, das mit nichts zu vergleichen und zu vermitteln wäre, bleibt unbegriffen, macht angst, muß abgewehrt werden, gewährt weder Erfahrung noch Einsicht; oder anders herum: »Nichts stellt sich spontaner ein als das Gewohnte« (Friedrich W. Heubach)


––– weil Assoziationen – aber nicht nur sie – einem Sinnwahn unterliegen, die die Subjekte den womöglich disparaten Objekten ihre Erfahrung und Erkenntnis zu verleihen trachten. Offenbar erträgt der Mensch Unverstandenes, Unverbundenes, im konventionellen Sinn Sinnloses kaum; also müht er sich, dem jeweiligen gesellschaftlichen Wissensstand gemäß, durch Sinngebung seman-tische Kontexte zwecks Selbstverständigung zu erzwingen – was häufig zu Banalität führt: »Banalität durch Tiefe« (Ernst Bloch) oder: »Die Tiefe wird zur Breite, und man trachtet, sie durch Schwere zu erreichen« (Ferruccio Busoni)


––– weil Vorstellungen die Gefahr in sich bergen, neben allgemeiner Banalität privatistischer Kontingenz oder dem Wähnen, Meinen, Glauben, Empfinden anheimzufallen: »Ergriffenes Dasein«.
Trotz der bedenklichen Einstimmung verfahre ich genau in dieser Weise.


Aus zwei Gründen:


––– weil Diana Mercedes Alonsos Arbeiten Konnotationen geradezu provozieren; übrigens ohne aktives Zutun: sie interessieren solche Vorstellungen überhaupt nicht, und demgemäß entwickelt sie schon gar keine künstlerische Strategie daraus


––– weil ihre Kunst zwar vielleicht sogar von diesen Vorstellungserwartungen lebt, aber nur, um am Ende zu demonstrieren, daß das Ganze etwas anderes ist als das, was die Summe der Teile zu sein vorgibt. Das, immerhin, wäre ja ein ganz interessanter Erfahrungsschock.
 
Konnotation 1: Fundstücke


Gefundene Materialien sind in der Geschichte der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts weder neu noch garantieren sie a priori Güte. Objets trouvés, ob natürliche oder gestaltete, haben in dieser Benennung ihre einstige Provokation eingebüßt, tendieren heute häufig zur Banalität von Trödelmarkt und Sperrmüll, von spätsurrealen Arrangements oder emphatischer Naturhaftigkeit.


Zwar ist den Arbeiten von Diana Mercedes Alonso anzusehen, daß auch ihr Ausgangsmaterial gefunden, nicht für den künstlerischen Prozeß hergestellt, zugeschnitten wurde – dazu ist es zu unpräzise, zu zufällig und zu ungeschliffen; undefinierbare, einst anderen Alltagsprodukten zugehörige Bruchstücke, glücklicherweise nie aber amorph oder in die Phantasie beflügelnden enigmatischen Formen, sondern immer eckig, meist rechtwinklig. Es sind gefundene, aufgehobene und gesammelte Stücke, aber nicht wegen ihres obskuren oder aufregenden Aussehens – im Gegenteil: eben wegen ihrer unspektakulären, geradezu langweiligen Normalität, bei der einem jegliches Wähnen über ihre einstige oder jetzige Bedeutung vergeht. »Ich kreiere nichts Neues, ich greife nicht ein«.


Konnotation 2: Material


Immer dasselbe Material: Holz. Kantig, sozusagen pragmatisch, mit keinerlei Sinn aufzuladen. Unwichtig; was ebenso für dessen Herkunft wie für den Akt des Sammelns selbst gilt. Die Qualität spielt keine Rolle, vielmehr: je normaler und billiger, desto besser. Was man eben so auf Baustellen an Weggeworfenem oder Abgebrochenem findet. Ordinäre Bretter meistens. Struktur und Oberfläche sind gleichgültig, gleich geltend; weil sie ohnehin in der künstlerischen Bearbeitung zugemalt werden. Bestenfalls sind in den fertigen Objekten noch andeutungsweise die Rillen in den Brettern zu erkennen oder eine Vertiefung. »Ich gucke, was sich für mich ergibt.«
 
Konnotation 3: Farbe


Selbstverständlich gibt es Eingriffe. Auch deshalb handelt es sich nicht um objets trouvés oder readymades. Aber sie geschehen nicht an der Form oder am Material. Die Künstlerin greift die Oberfläche nachträglich an – mit Farbe. Immer die gleichen zwei Farben: weiß und blau, mit denen Flächen gleichmäßig zugemalt werden. Ein sehr dunkles Blau, das von weitem oder bei photographischer Reproduktion der Arbeiten leicht als Schwarz erscheint. Das ist nun mal so, an Irritation ist Diana Mercedes Alonso nicht gelegen. »Für mich ist es nie schwarz, denn schwarz ist stumpf, tot.« Die Künstlerin interessiert sich vielmehr für das Spannungsverhältnis, das der Kontext hell-dunkel optisch-räumlich erzeugt: Was tritt hervor, was in den Hintergrund? Das Blau schiebt sich nach vorn, wird gewichtiger, obwohl es als dunkle Farbe eigentlich zurücktreten müßte.
 
Konnotation 4: Licht


Was ansonsten große Probleme für die Hängung von Kunstwerken bedeutet, ist für Diana Mercedes Alonsos Arbeiten ein Glücksfall: Naturlicht. Je heller die Räume, desto besser. Ihre Bilder – eher Reliefs – glänzen und spiegeln nicht, es sind »Bilder für Tageslicht«. Das Blau wird »lebendig«, ein mattes Leuchten auf, neben, hinter hellem Weiß auf weißer Wand in strahlendem Licht.
 
Konnotation 5: Dimensionen


Obwohl die Größen variieren, wählt die Künstlerin eher kleinformatige Fundstücke aus. Sie sollen optisch auf einmal, insgesamt, erfaßbar sein, »ich muß den Überblick behalten«. Diana Mercedes Alonso hat sich eine wunderbare Negativdefinition für die Größe ihrer Bilder erfunden: »Zu groß wird größer als ich selbst.« Womit sie klarerweise nicht ihr reales Körpermaß als maximale Begrenzung nimmt, sondern eben die Fähigkeit ihrer Augen »immer gleich das Ganze im Blick« zu haben.


Die Kunst, ebenso wie der Mensch, lebt nicht vom Brot allein, allerdings auch nicht von der permanenten Invention des noch nie Dagewesenen. Eher sind es Kombinationen und Kontexte, die Beharrlichkeit oder unspektakuläre kleine Verschiebungen, die, in geglückteren Fällen, Unterscheidbares als Eigen-Sinn oder Eigen-Willen ausmachen.
Den Arbeiten von Diana Mercedes Alonso gelingt das. Ohne Sensation, ohne die Banalität des Neuen, aber anders, als die einzelnen Vorstellungen, mechanisch aufsummiert, ergeben würden. Es ist die je kleine Differenz – der Materialbeschaffenheit, der Art, die Flächen zuzumalen, der Maße… –, die sowohl davor bewahrt, ihre Kunst in Schubladen à la Neo-Konstruktivismus oder ähnliches zu packen, als auch, daß eine Methodenmaschine in Gang gesetzt würde. Schaut man genau hin, wird man sehen lernen können. Nicht mehr und nicht weniger. Aber das ist schon ziemlich viel.
 
Uta Brandes