Eine Linie finden,
den Überblick behalten, einfach gucken.


Die Linie ist nicht wirklich vorhanden, aber sie ist da. Der Blick vervollständigt sie über den Zwischenraum hinweg, den zwei weiß bemalte, auf der Wand angebrachte Holzblöcke bilden. Ihre Maße unterscheiden sich in allen Dimensionen, jedoch befinden sich die Oberkanten auf gleicher Höhe. Die Linie besteht aus den parallel zum oberen Rand gesetzten Einschnitten auf der Frontseite - und ihrer die Lücke überbrückenden Verbindung. Zwei senkrechte Einschnitte an den beiden äußeren Rändern markieren in Kombination mit der waagerechten Linie einen ebenso dezenten wie deutlichen, nicht wirklich vorhandenen Rahmen, der das Ensemble in ruhiger Spannung hält.


Die Arbeit liegt auf der Linie einer künstlerischen Entwicklung, in der sich Diana Mercedes Alonso seit rund dreißig Jahren auf die Farben Weiß und Dunkelblau konzentriert, stets einen festen, überschaubaren Holzuntergrund als Basis wählt und zu einer nuancierten, konsequenten Reduktion gelangt. Sie verfolgt diese Linie nicht verkopft konstruierend und kalkulierend, sondern aus dem Bauch heraus exakt. Das schließt zögerliches Suchen und Zweifeln, Phasen des Ausprobierens und Verwerfens oder vermeintliche Endpunkte nicht aus – im Gegenteil. Die Künstlerin erkundet und bearbeitet die weiße Oberfläche beherzt und behutsam. Sie ritzt, sägt oder zeichnet parallele, sich in manchen Werken über das ganze Format erstreckende Linien. Indem sie die Graphit-Zeichnungen verreibend wieder zurücknimmt, die Spuren des Verwischens jedoch nicht auslöscht, macht sie den bildnerischen Prozess nachvollziehbar. Die Phasen des Entstehens und somit verschiedene Zeiten bleiben gleichzeitig sichtbar – unaufdringlich und doch sehr präsent.


Diana Mercedes Alonsos Arbeiten vermitteln den Betrachter*innen in ihrer Ruhe und Klarheit die unbeirrte Haltung der Künstlerin, ihren Empfindungen überzeugend auf den Punkt zu bringen. Die auf wenigen bildnerischen Elementen beruhende Komposition regt zu einer konzentrierten, entdeckenden Wahrnehmung an, die ohne Ablenkungen in einen intensiven Dialog mit dem Bildobjekt tritt. Je nach individuellem Zugang mag dies meditativ, verunsichernd, entspannend oder anregend sein – Eindrücke, die auch den Entstehungsprozess prägten.


Begriffe wie „konkret“ oder „minimal“ liegen zwar zutreffend nahe, für die Charakterisierung des Werks darf jedoch ein Begriff wie „liebevoller Humor“ nicht fehlen, den die Bilder und Objekte bei aller kompositorischen Ausgefeiltheit auch ausstrahlen. In einer kleinformatigen Arbeit umläuft eine waagerechte, exakte Linie aus blauem Garn drei aneinander montierte, weiß gestrichene Holzblöcke und suggeriert, ihre zarte Kraft sei es, die die scheinbar leicht ins Rutschen geratene Konstellation hält. Oder eine senkrechte, blauer Garn-Linie erscheint fast deckungsgleich mit einem Graphitstrich und akzentuiert so eine wohl austarierte Komposition. Diana Mercedes Alonso schafft ihre Kunst mit intuitiv sicherem, souveränem Blick. Einfach gucken.

Bettina Brach