Der Klang der Körper Ein rechtwinkliger Einschnitt löst eine Binnenfläche und einen Rahmen heraus, zugleich bleiben beide Elemente in Teilen verbunden. Das Objekt behält damit seine Einheitlichkeit und ruft ebenso die Form eines Gemäldes hervor. Auf der inneren Fläche findet sich ein einziger horizontaler Strich, der mit den rahmenden Linien korrespondiert. Die Linie könnte auch als kürzeste Formel einer Landschaft gelesen werden. Das bildnerische Geschehen ist in seinem monochromen Weiß und in seiner Flächenform reduziert, verdichtet und dabei markant. Es ruft ein Bild auf und ist zugleich autonomes Objekt. Es ist Form in einem stofflichen Ursprung. Es erscheint rational und folgt doch keinem streng mathematischen Kalkül. Die Arbeiten von Diana Mercedes Alonso bewegen sich zwischen Malerei und Plastik, zwischen Farbfläche und Farbkörper, zwischen Strenge und Spiel. Tafelbilder streben zum Objekt, Objekte zeigen sich als plastische Bildträger. Erzählerischer Ballast ist abgeworfen. Konkretion und Abstraktion bereiten den Boden für eine feine dingliche Poesie korrespondierender Linien, Flächen und Volumina. In einer weiteren Arbeit trägt der nahezu geschlossen weiße Bildkörper lediglich an seiner unteren Seite und auf einem schmalen Streifen der Vorderseite eine umlaufende Bahn aus dunklem Blau. Die blaue Farbe markiert den Fuß der Tafel wie ein Sockel. Zusätzlich verbindet ein kleiner Einschnitt am rechten unteren Rand Fläche und Körper in einer ebenso grafischen wie skulpturalen, fast beiläufig anmutenden Geste. Das untere Dunkel zieht das Objekt in die Tiefe, zugleich strebt dieses durch die überwiegend lichte farbliche Fassung in die Höhe. Die widerstreitenden Richtungsverläufe und das Wechselspiel des schmalen dunklen Streifens mit dem leicht erscheinenden großen Tafelstück verleihen dem Bildkörper eine schwebende Spannung. Alonsos Arbeiten repräsentieren nicht, sie gründen in ihrer Präsenz. Die Objekte deuten auf sich selbst und weisen zugleich mit klaren Strukturbildungen über sich hinaus, in eine Bildebene, in der Gestaltelemente wie Reihung und Reibung, Korrespondenz und Kontrast, Begrenzung und Öffnung eine kontemplative Wirkung entfalten und metaphorischen Gehalt freisetzen. Das Schaffen der Künstlerin bewegt sich in der Tradition der Konkreten Kunst und doch sind ihre Werke nicht vorab gedanklich vollends konzipiert, sondern aus ihrer Entstehung heraus entwickelt, nicht analytisch sondern empirisch, nicht kalkulatorisch sondern intuitiv. Das kompositorische Geschehen ist auf elementare Formen und deren Zusammenwirken zurückgeführt und hält dabei immer wieder hintersinnige Überraschungen bereit, wenn die Gebilde aus einem grundgelegten Raster herausfallen. So stapelt die Künstlerin Balken übereinander, aber nicht bündig abschließend, sondern mit Sprüngen, Fugen und Ritzen. Die minimale formale Abweichung ebnet die Bahn für die Assoziation inhaltlicher Differenzsituationen. So spielen immer wieder geschlossene und offene Form ineinander. Mehrfach erscheinen zwei gleich große Tafeln im Verbund. Aus dem Doppelauftritt wird ein Dialog verschiedener formaler oder farblicher Qualitäten, in dem zusätzliche Strukturelemente die beiden Teile miteinander verbinden und gleichzeitig voneinander abgrenzen. So laufen in einem Fall parallele horizontale Linien, die die rechte Fläche eines solchen Tafelpaares gliedern, in einem schmalen Streifen in die linke Tafel hinein. Damit erlebt das Raster eine Verlängerung und Verlagerung, die den mit eingeschlossenen Bezirk aber nicht ganz ausfüllt, sondern Offenheit zulässt, Ordnung und Öffnung stehen sich gegenüber. An solchen Rissen und Brüchen gewinnen viele Werke der Künstlerin ihre sanfte aber eindringliche Ausdrucksmagie und Ausstrahlungskraft. Ihre Kompositionen mögen Assoziationen zum Konstruktiven aufwerfen und doch sind Alonsos Werke bestimmt von einem freien sensorischem Bewusstsein. Die Künstlerin bindet die von der Moderne vorgenommene Freisetzung der bildnerischen Mittel wieder an einen offenen Empfindungsstrom, setzt das Subjektive und Individuelle wieder ins Recht in der Hervorbringung ästhetischer Formulierungen mit autonomen Darstellungsmitteln. Das minimalistische Objekt erfährt bei ihr eine subjektive Aufladung, eine Form reduzierter Gestik, die sie als Fragment, Aphorismus, als Pointe auf die Objekttafeln legt, eingebettet in eine spezifische Klanglichkeit. In dieser Reduktion versammeln und konzentrieren sich die Dinge und öffnen zugleich Horizonte. Die Knappheit des Gewöhnlichen und Selbstverständlichen mobilisiert die Sinnanlagerung. Auf der Suche nach Sinn wird die Sinnlichkeit von Objekten häufig überschlagen. Dies zu verhindern gelingt der Künstlerin durch die pointierte Eindringlichkeit ihrer Formfindungen. In der Reduktion liegt ein spezifisches Zeigen auf das Objekt. Das Zeigen ruft eine Erinnerung des Betrachters an ähnliche in seinem Gedächtnis gespeicherte Wahrnehmungen auf. In dem Abgleich offenbart sich das Spezifische des aufgezeigten Gebildes. Im Wechselspiel zwischen der erinnerten und der aktuell aufgerufenen Form entzündet sich ästhetischer Mehrwert. Die Formen sind aus einem funktionalen Verbund herausgelöst und werden in einen neuen ästhetischen Kontext gestellt. Die bildlichen Situationen, die in ähnlicher Weise im Alltagszusammenhang aufzufinden sind, werden dem Blickwinkel der gewöhnlichen menschlichen Tätigkeit entzogen, werden purifiziert als bildliche Erscheinungen. Die Herauslösung verleiht den visuellen Ereignissen die Qualität primärer Objekte, denen Ursprünglichkeit und Selbstverständlichkeit anhaftet. Diese Qualitäten verleihen ihnen einen besonderen Zauber, einen eher spürbaren fragilen Reiz, der sich einem begrifflichen Zugang verweigert. Drei kubische Körper hängen in einer Arbeit dicht nebeneinander. Eine umlaufende Linie im oberen Bereich verbindet die Objekte. Einheit und Singularität der Teilstücke spielen rhythmisiert zusammen. Die mittlere Form, minimal kleiner als die beiden Randstücke, erscheint eingeschlossen, trennt und verbindet die außenliegenden Teile, wirkt geschützt und bedrängt gleichermaßen. Die Arbeit ließe sich so als Aphorismus über ein Nebeneinander, Miteinander und Gegeneinander verstehen. Die Objekte bestehen aus Verbünden von Formen. So wie diese Elemente sich zueinander verhalten, entsteht Gestalt. Der Blick wird auf die Formen und Farben selbst gerichtet, auf bewusst einfache Formen. Es geht um Volumina, um Flächen, um Linien und Farben, um Farbkorrespondenzen, um Hell und Dunkel, um Puls und Dynamik an sich, nicht als dienstbare Instrumente der Bildrepräsentation. Dadurch, dass die bildnerischen Momente von sich selbst sprechen, kommt die Wirklichkeit auf eine andere Weise zur Sprache. Die geometrischen Anordnungen tragen zudem gestische Momente: das Setzen der Flächengewichte, der Farbklänge, des Licht- und Schattenspiels, das Setzen einer Linie, die einen Verlauf und mithin eine Richtung markiert, die konturierend eine Gestalt in die Fläche setzt, die trennt und verbindet, die Risse markiert, die grob oder fein, breit oder schmal ist, die sanft oder brutal wirken kann. Geometrie ist eine Geste der Transformation singulärer Erscheinungen in ein universelles Bild. In einer Werkreihe variiert die Künstlerin eine Format füllende horizontale Streifenformation. Das Quadrat erscheint als offene Basisform, die das lineare Geschehen über die Bildränder hinaus wirken lässt. Die Streifen bilden ein ruhiges Metrum. Sie sind allerdings ungleichmäßig verwischt, so dass sich ein unruhiger Puls in die feste, mal offenere, mal dichtere Grundstruktur mischt. Die Linien erscheinen wie in einem Zwischenstadium, wie auf der Schwelle zwischen Auftauchen und Verschwinden. Ihre Präsenz ist prekär und fragil. Die Unschärfe lässt ein zeitliches Moment, einen prozessualen Charakter in das Bildgeschehen einwirken. Zudem sorgt die Eintrübung bei dem Betrachter für das Bedürfnis nach Fokussierung. Der Blick intensiviert sich, um dem fragmentarisch wirkenden Geschehen Einheitlichkeit zu geben, um das Verwischte wieder in die Klarheit zu heben. Die Streifen ergeben einen gebrochenen Rhythmus, ihre pulvrige Qualität schafft eine luftige Atmosphäre, Schwebendes stellt sich dem Festen gegenüber. Das ganze Bild gerät in eine Schwingung, die an bewegte Wellenformationen denken lassen könnte. Die linear in Parallelen entwickelte Struktur öffnet sich für zahlreiche dingliche Assoziationen, sie bleibt aber als autonomes Bildgeschehen bestehen, auf das sich in einer meditativen Haltung blicken lässt, in einer Haltung, wie sie auch die Künstlerin bei der Fertigung des Bildes bestimmt haben mag. Die Syntax der Formen fordert eine Wahrnehmung über ein offenes und geduldiges Schauen ein, ein Schauen, das sich auf kein stabiles Gerüst im Vertrauten verlassen kann. Dafür sind die Objekte zu wenig angefüllt mit geläufigen Bedeutungsebenen. Das Erkennen rangiert in dieser Verweigerung des Alltagsgesichts der Dinge nach dem Empfinden. Die gewöhnliche Hierarchie, die Dominanz des Erkennens über das Empfinden, des Denkens über das Gefühl ist durchbrochen. Die beiden untrennbaren Anteile der fortgeschrittenen Wahrnehmung, das Erspüren und das gedanklich-sprachliche Erschließen, greifen schließlich parallel und sich dabei ineinander verschränkend auf den bildnerischen Gegenstand und seine Bedeutungshorizonte zu. Je körperlicher, also je objekthafter die Malerei ist, desto mehr ruft sie unser haptisches Empfinden auf. Wir setzen unseren Körper in ein Verhältnis zu den Ereignissen in dem Malobjekt. Wir erspüren das Aufeinandertreffen der Flächen, ihre Teilung, wir spüren das Verhältnis der Körpergrößen geradezu leiblich, wie sich Linien als Spuren und Male einschreiben, wie die Farben Raum greifen in ihrem Aufeinandertreffen. Inhalt und Form sind deckungsgleich, die Form ist der Inhalt, dennoch weist die Form über sich selbst hinaus in einen sinnlichen und sinnerfüllten Bewusstseinsbereich, der sich durch die formalen Mittel allein nicht beschreiben und begrifflich fassen lässt und dem keine formfremden inhaltlichen Zuschreibungen übergestülpt werden dürfen. Die Form verschiebt sich im Auge des Betrachters auf eine andere Ebene, in der, sich wechselseitig beflügelnd, imaginative und sprachliche Assoziationen und Entsprechungen angesiedelt sind. Dort stoßen die bildnerischen Dinge auf den durch die Form vorbereiteten Resonanzboden, der sie vollends zum Klingen bringt und der unsere Sinne schärft für die weiteren Blicke auf das Bildobjekt. Rainer Beßling |